Guten Tag und willkommen in den Dolomiten, Ned! Oder wie sollen wir Sie ansprechen? Sie haben ja so viele Spitznamen bekommen, zum Beispiel „Die Lunge“, „Die Pumpe“ oder „Deadly Nedly“. Welchen mögen Sie am liebsten?
Am liebsten mag ich „The Captain“, denn so wurde ich gerufen, als ich der Spitzenfahrer im MTB-Team von Specialized war.
Ihre Karriere ist schier unglaublich. 1990 haben Sie die ersten Weltmeisterschaften im Cross-Country gewonnen, dann wurden Sie Dritter bei der WM 1991 in Italien; Sie haben sechsmal den renommierten NORBA-Titel gewonnen und waren 1986 und 1987 US-Meister. Tut es Ihnen nicht ein bisschen Leid, dass Sie schon 35 Jahre alt waren, als Mountainbiken 1990 zu einer globalen Sportart wurde?
Das tut mir gar nicht leid, denn ich gehörte von Anfang an zu den Protagonisten dieser neuen Sportart, und ich war dabei, als sie es recht schnell zur olympischen Disziplin brachte. Ich freue mich sehr, dass mir das Mountainbiken auch heute noch richtig viel Spaß macht und dass ich die ganzen Weiterentwicklungen im Produktbereich genießen kann. Ich gucke nicht aufs Alter wie die meisten anderen Menschen, im Gegenteil. Ich fühle mich, als hätte meine Reise eben erst begonnen.
Was ist Ihre schönste Erinnerung an Italien? Vielleicht ja das Weltcup-Rennen in Capoliveri auf Elba im Frühling 1994, wo Sie bei einem extrem anstrengenden Etappen-Rennen triumphiert haben, mit langen Anstiegen und technischen Downhills über felsiges Terrain? Wie haben Sie diesen glühend heißen Sommertag in Erinnerung?
Das Weltcup-Rennen auf Elba war eine einzige Schlacht gegen Johnny Tomac. Die ganze Strecke lang haben wir gegeneinander gekämpft. Ich machte Boden wett, wenn es aufwärts ging, und John holte bei den Abfahrten auf. Der Gewinn eines Weltcup-Rennens in Europa war ein extrem wichtiger Erfolg für mich. Ich habe schöne Erinnerungen an alle Rennen, die ich in Italien gefahren bin. Ich habe in Bassano del Grappa am World Cup teilgenommen und bin drei Mal beim Garda Marathon mitgefahren. Bei einem dieser Rennen sind wir bei eisigem Regen gestartet, der sich in Schnee verwandelte, als wir uns auf einen Berg hochkämpften. War ein ziemlich langer Tag. Ich habe aber auch bei einem Rennen durch einen herrlichen Park in Rom mitgemacht. Also, ich kann es kaum erwarten, wieder in Italien zu starten.
Während Ihrer Karriere waren Sie praktisch unschlagbar bei Rennen in den Bergen mit großen Höhendifferenzen und ruppigen Abfahrten. Die Cross-Country-Rennen von heute werden immer schneller, mit technischen Abschnitten und kurzen Parcours. Ein Weltcup-Rennen dauert heute ca. eineinhalb Stunden, ist also ungefähr halb so lang wie zu Ihren Zeiten. Finden Sie, dass Cross-Country im Vergleich zu vor 20 bis 25 Jahren ein anderer Sport geworden ist?
Die Cross-Country-Rennen der 90er Jahren waren eher so wie die Marathon-Rennen von heute, und es ist absolut richtig, dass sich die XC-Rennen verändern. Sie dauern weniger lang und die Parcours sind kürzer geworden, was bedeutet, dass die Anstiege effizienter sind. Aber das ist schon in Ordnung so, und es macht viel Spaß, sich den Weltcup anzusehen. Auch dank einer immer dichteren TV-Berichterstattung. Die Marathons sind ein echtes Erlebnis für alle MTB-Fans, mich eingeschlossen.
Wer war Ihr härtester Gegner in den goldenen Jahren? Der legendäre John Tomac?
Das ist eine interessante Frage. John war ein wirklich starker Rider, und vor allem hatte er guten Support durch seine Sponsoren. Er war sehr präsent in den Medien, und ich spürte die Rivalität zu ihm und seinem öffentlichen Image. Ich war extrem motiviert, ihn zu besiegen, weil ich fand, dass ich bessere sportliche Ergebnisse hatte, während er von der Presse bevorzugt wurde. John und ich hatten immer ein freundschaftliches Verhältnis und gegenseitigen Respekt. Wir waren große Rivalen zwischen 1986 und 1990, aber dann tauchte der wirklich sehr ehrgeizige Thomas Frischknecht auf, der sich im Weltcup als extrem schwieriger Gegner entpuppte.
Die Vorherrschaft der US-Amerikaner im Cross Country war (jedenfalls was die Herren betraf) Mitte der Neunziger Jahre vorbei. Die ersten Biker, die die Stange höher legten und euch das Wasser reichen konnten, kamen alle aus Europa. Biker wie Thomas Frischknecht, Henrik Djernis, Peter Hric, Mike Kluge, Tim Gould und Beat Wabel. Wie haben sie es geschafft, euch zu übertrumpfen? Mit wissenschaftlichen Trainingsmethoden, die sie vom Straßenradsport abgeguckt haben? Mit besserer Ernährung, veritablen Trainingsprogrammen und besserer Anpassung an den Rhythmus der Rennen?
Ich glaube, es lag einfach in der Natur der Dinge, dass die amerikanischen Sportler nicht für immer die Cross-Country-Rennen dominieren konnten, denn der MTB-Sport in den europäischen Ländern hatte sich enorm weiterentwickelt. In Europa wird der Radsport heiß geliebt und es gibt ein besseres System zur Förderung junger Fahrer. Ein Land wie Italien hat dieselbe Zahl an Fahrern mit Lizenz wie die USA, obwohl es wesentlich weniger Einwohner hat. Ich vertraue darauf, dass sich der Radsport in Amerika zu ändern beginnt, und baue meine Zuversicht auch auf den Umstand, dass dort mittlerweile auch schon Rennen auf High-School-Niveau organisiert werden. Wir haben jetzt einige Junioren-Rennen, und ich bin überzeugt, dass das in den nächsten Jahren zu einer höheren Wettbewerbsfähigkeit unserer Rider führen wird. Chris Belvins aus Durango in Colorado zum Beispiel ist bei der WM U23 zweiter geworden und hat eine große Zukunft vor sich.
Wenn Sie die fünf wichtigsten Fahrerinnen und Fahrer in der Geschichte des MTB (inkl. Downhill) nennen sollten, wer stünde auf Ihrer Liste?
Fünf Rider auszuwählen ist echt schwer. Da gab es die ganz frühen Meister, als die Disziplin noch ganz jung war, die mit ihren Geschichten und ihren Rivalitäten den Sport bekannt gemacht haben. Leute wie mich, Tomac und Frischi. Frauen wie Julie Furtado und Missy Giove waren von Anfang an wichtige Persönlichkeiten in diesem Sport, später auch Paola Pezzo, die in Atlanta und Sydney Gold gewonnen hat! Nico Vouilloz und Anne Caroline Chausson haben mit ihrer Dominanz in einem Sport, in dem es kompliziert ist, die verschiedenen Variabilitäten unter Kontrolle zu halten, das Downhill auf ein ganz neues Niveau gebracht. Julian Absalon und Nino Schurter wiederum haben das technische und kämpferische Level der Cross-Country-Rennen erhöht. Das sind jetzt aber mehr als fünf, oder?
Ned, Sie fahren immer noch Rennen, obwohl Sie Ihre offizielle Karriere als Cross-Country-Profi im Jahr 1996 beendet haben. Und nicht nur Sie, auch eine andere Legende des amerikanischen Cross Country, David „Tinker“ Juarez, präsentiert sich immer noch gern am Start. Wie erklären Sie uns das?
Ich probiere einfach gerne die große Vielfalt von Fahrrädern aus. Das Mountainbike ist meine ganz große Leidenschaft, aber es macht mir auch Spaß, Rennrad zu fahren, auf Schotterpisten, Ciclocross oder mit dem Fat Bike. Ich lebe in den Bergen von Colorado, wo es die schönsten Strecken und Straßen für Radfahrer gibt. Biken hält dich jung! Du musst nur die Grenzen deines Körpers berücksichtigen und solltest nicht allzu oft stürzen!
Was viele nicht wissen, ist dass Sie vor rund 30 Jahren auch Straßenrennen und ein paar richtig harte Anstiege gemacht haben. Wie etwa den in Colorado von Idaho Springs hoch auf den Mount Evans. Wie war und wie ist heute Ihr Verhältnis zum Rennrad?
Der Mount Evans ist ein echter Klassiker unter den Kletterstrecken und zugleich die höchste asphaltierte Straße der USA – der Berg ist 4.347 m hoch, und die Straße führt bis auf den Gipfel. Früher habe ich sowohl Straßenradfahren als auch Triathlon betrieben. 1983 bin ich zusammen mit Andy Hampsten im Team Raleigh das Etappenrennen Coors Classic gefahren. Dann gab es da noch einen Ironman 1980. Doch dann habe ich 1984 das Mountainbike entdeckt und von diesem Moment an war das Rennrad für mich nur noch eine super Trainingsmethode.
Sie sind traditionell mit einer der Spitzenmarken im Radsport verbunden – Specialized. Was bedeutet das, seinen Namen mit dem eines der großen Marktführer zu verknüpfen?
Mit Specialized habe ich von meinem ersten Rennen an und für mehr als 30 Jahre gearbeitet, und diese Zusammenarbeit war eines der Schlüsselelemente für meine sportliche Langlebigkeit. Nachdem ich mich 1996 vom Weltcup-Zirkus zurückgezogen habe, habe ich weiter trainiert und bin auch Rennen gefahren, nur eben nicht mehr unter dem Druck eines Profi-Vertrages. Ich wurde aber zu einem wesentlichen Bestandteil des Specialized-Teams, was die Produktentwicklung betrifft, und ich arbeite auch mit der Sportmarketing-Abteilung zusammen. Bei Specialized herrscht eine große Begeisterung für den Radsport... und auf dieser Welle reite ich!
Finden Sie, dass Marathon-Rennen heute die Kultur der Offroad-Pisten und Singletracks besser verkörpern als Cross Country?
Meiner Meinung nach sind Marathons für die Teilnehmer eine begeisternde Erfahrung. Diese Kombination aus harten Anstiegen, großartigen Panoramen, Teamgeist und Partystimmung – all das macht einen Marathon zu einer sehr positiven Erfahrung. Beim Cross Country dagegen kämpft jeder ganz für sich allein ist. Es ist eine sehr intensive, aggressive Angelegenheit und kann auf seine ganz eigene Weise schön sein.
Welche Zukunft sehen Sie für Langstrecken-Endurance-Rennen, wie es Marathons sind?
Ich glaube, dass Marathons noch weiter wachsen werden. Es gibt heute viele Veranstaltungen, aus denen die Leute wählen können, und auf Dauer werden sich solche Marathons behaupten, in denen die Organisatoren den Teilnehmern ein Erlebnis mit Qualität garantieren können. Eine fordernde Rennstrecke in einer mitreißenden Landschaft sind Elemente, die Rider immer schätzen werden.